Invisible Machines

Der Personal Computer wird unsichtbar

Ein Aufsatz von Christoph Rauscher
Universität / FH Potsdam, Europäische Medienwissenschaften / Design
Lesedauer: 16 Minuten

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In den frühen 1980er Jahren kamen die ersten Personal Computer auf den Markt. Ihre neutral gehaltene Erscheinung – graue, rechteckige Kisten – sollte sie als flexibles Werkzeug in den Haushalten etablieren. Wie aber konnte ein so emotionslos gestaltetes Produkt zum Symbol des Informationszeitalters werden – und wie war es möglich, dass es seine äußere Form innerhalb der letzten Jahrzehnte fast gänzlich verloren hat?

Chapter Number 1

Überall Computer

Der Entwickler Brian Kane veröffentlichte 2016 ein Video auf Facebook, in dem er sich mit einem singenden Gummi-Fisch – dem Big Mouth Billy Bass – unterhält. Er fragt ihn nach dem Wetter. Der Fisch antwortet mit Hilfe von Alexa, der Stimme des Sprachassistenten Amazon Echo. Kane hatte den Amazon Echo Dot in den Fischkorpus verbaut und ihn so um die technischen Fähigkeiten der künstlichen Intelligenz Alexas erweitert.

Wo der Fisch von Gemmy Industries schon vorher eine sonderbare Erscheinung war – standardmäßig reagierte sein verbauter Bewegungsmelder mit dem Trällern der Lieder »Don’t Worry, Be Happy« von Bobby McFerrin und »Take Me To The River« von Al Green – so wurde er durch Kanes Modifikation auf ein neues, zeitgenössisches Technologie-Niveau gehoben, was in wunderbarer Fisch-Gummi-Form verdeutlicht: Das Internet der Dinge1 kann sehr schnell zu sehr großem Quatsch mutieren. Gleichzeitig spiegelt er eine extreme technologische Vielschichtigkeit und einen Traum wider, den es seit Beginn der Entwicklung von Personal Computern gibt – den der unsichtbaren Maschinen.

»The future lies in designing and selling computers that people don’t realize are computers at all«2 – 1983 erdenkt sich der Autor und Entwickler Adam Osborne eine Zukunft, in der die Computer gänzlich unerkannt sind. Nach 34 Jahren ist ihre Einbindung in unseren Alltag und in unsere Gesellschaft so stark geworden, dass sie nicht mehr wegzudenken sind – ja, manchmal erscheinen sie tatsächlich unsichtbar.

In diesem Text will ich erörtern, welche Transformationen der Personal Computer seit seiner Entwicklung durchlaufen hat, um heute so nahtlos in unser Leben integriert sein zu können. Seine Verwandlung vom Fremdkörper in unseren Haushalten hin zu einem Arbeits- und Unterhaltungsmedium, das jeden Bereich des Lebens verändert hat, will ich historisch und phänomenologisch beleuchten, sowie die Transformation hin zum »unsichtbaren Medium« erläutern und ihre Bedeutung für die heutige Gesellschaft erörtern. Das sogenannte Internet der Dinge, dessen Vision schon seit Mitte des 20. Jahrhunderts besteht, konnte erst anhand des Einzugs von Personal Computern in unsere Haushalte eine klare Form annehmen.

Digitalisierung des Alltags; heute

Betrachtet man das letzte Drittel des 20. Jahrhunderts – also die Zeit, in der sich der Personal Computer auf dem Vormarsch befand – kann man sich der Feststellung des spanischen Soziologen Manuel Castells anschließen: Die Gutenberg-Galaxis befindet sich in einer Krise. Das Industriezeitalter wird vom Informationszeitalter abgelöst3, und es wird deutlich: Mit dem Einzug des Personal Computers sollte sich unsere Art der Kommunikation, unsere Lebensart und unsere Art zu arbeiten massiv verändern. Mitunter deswegen kürte das TIME Magazine 1982 nicht, wie damals üblich, den »Man of the Year«, sondern ernannte schlicht das Jahr zum »Jahr des Computers«4. Nicht etwa eine bestimmte Person wäre wegweisend gewesen, sondern der kulturverändernde Prozess, den der Computer mit sich in unsere Gesellschaft brachte.

Cover des TIME Magazine von 1983 mit Otto Friedrichs Artikel

The Year of the Machine: Die Computer-Vision von damals

Zu Beginn der 1980er Jahre kamen die ersten wirklich haushaltstauglichen Maschinen auf den Markt: Apples Lisa und der darauf folgende Macintosh im Jahr 1984 vereinfachten die Bedienung über ein Graphical User Interface, das Metaphern des altbekannten Büro-Interieurs aufnahm und keine besonderen Programmierkenntnisse mehr erforderte. Die eigentliche Vision der Integration der Computer sieht aber schon damals anders aus: Im besten Falle sollte der PC zukünftig gar nicht mehr als solcher erkennbar sein5, sondern im Hintergrund agieren und von dort die Aufgaben des Alltags übernehmen. Am Xerox PARC wird diese Fantasie in den 1990er Jahren konkretisiert, als Mark Weiser über den Computer des 21. Jahrhunderts nachdenkt: Anhand kleiner Prototypen (»Tabs, pads and boards«) wurden alltägliche Werkzeuge in digitale Tools verwandelt, die schnell Informationen speichern und austauschen konnten6.

Was auffällt: Schon früher träumte man in der Forschung von unsichtbarer Technologie. Computer sollte von Anbeginn eigentlich nicht in maschinenhafter Gestalt auftreten, sondern mit unserer Umgebung verwebt sein. Wenn ich in diesem Aufsatz also vom Unsichtbar werden oder vom Verschwinden der Computer spreche, meine ich damit nicht das tatsächliche Fehlen von Technologie, sondern ihre Integration in (bisher nicht digitalisierte) Alltagsgegenstände; das Verstecken von Computern in Räumen; das Zurücktreten selbiger in die Peripherie7. Mir geht es darum, nachzuvollziehen, wie die damals massiv wirkenden, in graue Kunststoffgehäuse gefassten Geräte so sehr in unsere Kultur und unsere Handlungen integriert werden konnten, dass sich unsere aktive Wahrnehmung ihnen gegenüber verflüchtigt hat. Beginnen wir also mit einer einfachen Frage: Wozu sollten Personal Computer überhaupt gut sein?!

Chapter Number 2.1

Die sich wandelnde Form des Computers

Mystic Machines pt. I: Aufgaben des Personal Computers

Obwohl die frühen 1980er Jahre zwar die medial gefeierten Einzugsjahre des Heim-Computers waren, so waren die meisten Haushalte doch überfordert mit der Aufgabe, dem Gerät einen sinnvollen Nutzen zu geben. Otto Friedrich, der sich in seinem Artikel The Computer Moves In mit der gesellschaftlichen Auswirkung des PCs befasst, schreibt, dass zu Beginn mehr als die Hälfte der verkauften Personal Computer für Videospiele genutzt wurde. Durch Spiele seien die Menschen an die einfache Bedienung und die vielfachen Möglichkeiten des Geräts herangeführt worden. Vor allem Kinder erkannten Videospiele früh als neue Art des Zeitvertreibs und als Kommunikations- und Bildungsmittel8.

Unter den Erwachsenen machte sich, neben der Überforderung, durchaus auch anfängliche Skepsis breit. Das fehlende Verständnis der neuen Technologie und die anfängliche Schwierigkeit, den Computern überhaupt eine sinnvolle Aufgabe zu geben, führten dazu, dass vor allem Eltern kritisch gegenüber den neuen, technischen Mitbewohnern waren. Laurence Habib befragte in den 1990er Jahren mehrere Familien, wie sie die Integration des PCs im eigenen Zuhause erlebt hatten. Über ein Ehepaar berichtet sie:

They both consider computer technology as a “time-liberator” but fear its noxious influence when used as part of the “corporate machine”, as indicated in one of Duncan’s pessimistic comments: “We’re standing around watching the devil play and we’re not doing anything”.9

Gerade die ersten Erfahrungen, die Erwachsene mit Computern am Arbeitsplatz gemacht haben, führten zu einer Vermeidungs- und Ablehnungshaltung: Dort wurde der Computer oft als Störenfried wahrgenommen, dessen negative Aura es so lange wie möglich aus den friedlichen, geordneten Familienalltag und Privathaushalt fernzuhalten galt10.

Nach und nach werden Rechner in der Ausbildung und am Arbeitsplatz aber immer wichtiger. Der Computer wird zum zentralen Gegenstand des Informationszeitalters, und verändert die gesamte Gesellschaft. Im häuslichen Umfeld wird die Technologie in alltägliche Routinen und familiäre Rituale einbezogen11. War er anfänglich noch ein Fremdkörper, hat sich der PC über die Jahre hinweg zwischen Kinderspielzeug, Schreibtisch-Utensilien und Büchern eingenistet. Seine Anwesenheit hat sogar ein ganz neues Geschäftsfeld eröffnet – die »auxiliar industries«12 vertreiben (vermeintlich) ergonomische Computertische, Transporttaschen, Reinigungsmittel und weiteres Zubehör. Schon Ende der 1970er Jahre nahmen die Bürojobs durch den Vormarsch des Informationszeitalters zu, auf den beispielsweise Möbelhersteller mit ergonomischen Stühlen und Tischen für vielsitzende Büroangestellte reagierten.

Bild der Werbeanzeige für Computertische
Abb. 3: Ausschnitt einer Werbeanzeige für Computertische von HYTEC Systems, 1984

Computer als Design- und Statussymbol

Die Geräte verschmelzen also mit den Wohnungen, wie es schon Medien wie Bücher oder Fernseher getan haben. Ein Bücherschrank gilt auch heute noch als Zeichen für Bildung und Wohlstand, und auch die Erfindung und Etablierung von E-Readern haben gedruckte Bücher nicht aus unserem Alltag verdrängt. Das Buch ist nach wie vor ein Statussymbol, und es war spürbar, dass auch der Personal Computer die Fähigkeit besaß, zu einem solchen zu avancieren. Seine Anschaffung wurde somit auf sämtlichen gesellschaftlichen Ebenen legitimiert: Als Notwendigkeit, als Investition (in die Bildung der Kinder), als Mittel zur eigenen Weiterentwicklung (Unterstützung im Haushalt), als Erinnerungsstück – und um den Freundeskreis zu beeindrucken13.

Printwerbung für den Apple IIc mit dem Titel »Why every kid should have an Apple after school«.
Abb. 4: Einbettung des Computers im Kinderzimmer. Werbeanzeige für den Apple IIc, 1984
Chapter Number 2.2

Die neue Rolle der Arbeit im Leben der Menschen

Eine Veränderung war besonders einschneidend bei der Einführung der Personal Computer: Die der Arbeit. Als Werkzeug stand der Computer am Arbeitsplatz – also im Büro – schon länger außer Frage. Nicht zuletzt deswegen herrschte auch lange Misstrauen bei der Anschaffung des Personal Computers: Die industrielle Revolution, die in den vergangenen Jahrzehnten in der Arbeitswelt stattgefunden hatte, »drohte« durch die Heim-Computer nun auch das häusliche Umfeld zu verändern und transformieren14.

Image of the Apple Lisa computer
Abb. 5: Apple Lisa, 1983

Dass der Personal Computer in seiner Erscheinung eng mit der Arbeit im Sinne der Büroarbeit verknüpft war, zeigt schon der ikonische Heim-Computer Apple Lisa, der im Grunde für die Arbeit zu Hause bestimmt war15. Das graphische User Interface griff Metaphern eines Büroarbeitsplatzes auf, die wir noch heute kennen: »Schreibtisch«, »Kalender«, »Ordner«, »Postfach«, »Papierkorb«. Ziehen diese Symbole innerhalb des Personal Computer in ein Umfeld ein, das gar nicht als Büro gedacht ist – nämlich das Wohnzimmer, Kinderzimmer oder die Küche –, entwickelt sich auch dort eine konstante Aura der Arbeit.

Schon 1980, bevor Apple und weitere Computer-Hersteller ihre Geräte mit einem an den Arbeitsplatz angelehnten User-Interface ausstatteten, erkennt Alvin Toffler die Möglichkeit der Arbeitstransformation durch Personal Computer. Mit immer mehr Arbeitsplätzen, die mit Informationen anstatt von Dingen16 umgingen, wurde auch das Setup eines klassischen Arbeitsplatzes vereinfacht17. So sollten in Zukunft ein weit größerer Teil der Gesellschaft zu Hause arbeiten bzw. nur noch gelegentlich ein Büro aufsuchen müssen. Mit dieser Idee waren viele Träume und Freiheiten verbunden, die so natürlich nicht alle eingetreten sind – tatsächlich passiert heute (2017) nach wie vor ein großer Teil der Arbeit in Büros und an dafür vorgesehenen Orten, doch wir sind durch den Fortschritt der Technologie flexibler und mobiler geworden. Die Anwesenheit des Personal Computer im Haushalt hat unsere Haltung zur Arbeit und zum Zusammenleben verändert, Erwartungen entfacht und neue, unkonventionelle Wege der Problemlösung im Alltag etabliert18.

Der PC als Werkzeug zur Befähigung

Es scheint, als hätten sich die Menschen zum Ende der 1980er Jahre an ihre Personal Computer gewöhnt, wie sie es schon mit anderen medialen Apparaten wie Fernsehen oder Radio getan haben. Doch anders als die bis dato etablierten Medien geben Computer den Menschen eine andere Art von Handlungsraum19; einen, den sich die Nutzer selbst erschließen müssen und damit flexibler und kreativer an Aufgaben herantreten – übrigens eine Vision, die schon die Computerwissenschaftler Alan Kay, Adele Goldberg und Larry Tesler in ihrem Paper How to advance from hobby computing to personal computing beschreiben. Ihrer Überzeugung nach ist der Computer in erster Linie ein Werkzeug, das Menschen befähigt, bessere Lösungen für bestehende Probleme zu finden. Durch diese Selbstbefähigung versprechen sie sich auch eine intensiver stattfindende Selbstreflexion des Individuums: Das Auseinandersetzen mit den eigenen Fähigkeiten und ihrer Adaption auf ein Werkzeug sollte als größter Nutzen aus dem Vormarsch des Personal Computing hervorgehen20.

Computer als Projektoren des Möglichen

Der Computer als Befähigungsmaschine stellt somit auch die Rolle der Arbeit im Leben der Menschen in ein neues Licht. Während er als Rechenmaschine dazu dient, repetitive Aufgaben zu übernehmen und die Menschen durch seine Rechengeschwindigkeit zu entlasten, verändert er als kreatives Werkzeug die Bedeutung der Arbeit allumfassend. Mehr noch: Es ist ein Mittel, das die eigenen Aufgaben überschreitet und erst nach der äußerlichen Erschaffung (Hardware) einen Handlungsraum definierbar macht. Platziert im heimischen Wohnzimmer übernimmt der Rechner so eine vermittelnde Position zwischen Menschen und ihren Fähigkeiten – und beginnt, als technisches Objekt in den Hintergrund zu treten. Die 1963 von Ivan Sutherland entwickelte Sketchpad-Software ist ein frühes Beispiel dieser vermittelnden Rolle: Die Objekt-orientierte Programmierung und die Bedienung durch einen Zeichenstift setzten den Grundstein für graphische Bedienoberflächen. Diese machten dem Anwender sichtbar, welche Möglichkeiten die Maschine für ihn bereit hielt. So analysiert Jan Distelmeyer, dass durch das User Interface die Rechner auch ihr eigenes Bild des Nutzers ausdrücken:

Zum Beweis ihrer Funktionalität als universelle Maschinen sind Computer darauf angewiesen und ausgerichtet, die Möglichkeiten anzuzeigen, Wie über sie zu verfügen ist. Eben darum drücken Computer in ihren Interface-Gestaltungen nie nur »sich selbst«, sondern auch »ihr« Bild vom Menschen in seinem Computergebrauch aus. Interfaces operieren auch insofern medial, indem ihre Gestaltung bestimmte Ansprüche vermittelt. Sie modellieren.21

Die Menschen beginnen, sich in den Geräten »zu spiegeln«. Ihre Erwartungshaltung an die Technologie wird von selbiger zurückprojiziert; die Interfaces zeigen dem Nutzer seine Möglichkeiten auf, die dieser dann als Befähigung und Handlungsrahmen nutzt. Womöglich war die anfängliche Angst vor Manipulation durch Computer gar nicht so unberechtigt?

Transformation der Arbeit und somit der Maschinen

Wenden wir also diese Erkenntnis von projizierten Erwartungen und Möglichkeiten auf das Wesen der Arbeit und ihrer sich transformierenden Rolle in der Gesellschaft an. Licklider und Clark zeichnen in ihrem Paper On-Line Man-Computer Communication eine deutliche Entwicklung auf: Die frühen für das Militär entwickelnden Computer dominierten in ihrer Erscheinung deutlich die Interaktionsmuster ihrer Bedienung – ihre wenig flexible Form und Fehlertoleranz gab den Ton an, auf den sich die Menschen einzustellen hatten22. Im Laufe der Zeit aber stieg das Bedürfnis nach enger verwobenen, flexibleren Bediensystemen zwischen Mensch und Maschine. »Man and computer complement each other«, heißt es da, was letztendlich zu der Vision einer eng verzahnten Teamstruktur aus Mensch und Technik führt: Menschen sollten mit Computern mindestens genau so gut kooperieren, wie Menschen in Gruppen zusammenarbeiten, etwa in Forschungs- und Engineering-Teams23.

Diese neue Akzeptanz; das Bedürfnis, Maschinen als vollwertiges Teammitglied in Arbeitsprozesse einzubinden, erlaubt es dem Personal Computer, eine neue Rolle im Leben der Menschen einzunehmen. Eingenistet in die heimischen Arbeits- und Wohnzimmer, kann durch technischen Fortschritt und visuelle Erscheinung der Geräte eine neue Form der Zusammenarbeit etabliert werden. Dies erlaubt den Computern, immer weniger als Störfaktor wahrgenommen zu werden, vom technischen Artefakt zum Einrichtungsobjekt und schließlich zum Unsichtbaren Werkzeug zu werden. Der Wandel der Arbeit und das daraus resultierende Ansehen des Computers als »Teammitglied« ermöglichte es den Rechnern, unsichtbar zu werden.

Chapter Number 2.3

Die Sichtbarkeit des PCs schwindet

Periphery und Embodied Virtuality

Die Idee des unsichtbaren Computers ist, wie einleitend erwähnt, keine neue Idee. Eine der berühmtesten Visionen stammt aus Mark Weisers Aufsatz The Computer for the 21st Century. Er vergleicht die Möglichkeiten der Technologie mit der Omnipräsenz schriftlicher Information, wie etwa dem Text in Magazinen oder auf Verpackungen. Diese Allgegenwart von Informationen wünschte er sich auch in Hinblick auf die Computerisierung. Das Lesen analoger Informationsträger (wie etwa Straßenschildern), so schreibt er, sei ein fast unbewusster Akt24 – die Medien existierten in der Peripherie – und die Konsumenten könnten bei Bedarf darauf zugreifen, ganz ohne Ablenkung oder großen Bedienungsaufwand. In den Computer-Laboren des Xerox PARC, deren technischer Leiter Weiser ab 1996 war, wurde unter dem Betriff »embodied virtuality« damit experimentiert, die Computer aus ihren gewohnten Gehäusen zu befreien und so dem Informationsüberfluss entgegen zu wirken. Bereits etablierte Computer-Technologie – etwa in Lichtschaltern und Öfen – halfen bereits, die »Welt zu aktivieren«25, so Weiser. In Zukunft sollte diese Technik ausgebaut und vernetzt werden: die Idee des Ubiquitous Computing war geboren.

Und obwohl sich Weiser auf computerisierte Haushaltsgegenstände wie elektrische Öfen, Lichtschalter oder Thermostate bezieht, beginnen die am PARC entwickelten Prototypen (»tabs, pads und boards«) mit der Digitalisierung von Arbeitswerkzeugen: In diversen Größen sollen Notizzettel, Schreibpapier und große Tafeln durch digitale Anzeigen ersetzt werden, auf die alle Mitarbeiter einfachen Zugriff haben. Es wird begonnen, routinierte Büroarbeit zu automatisieren.

Bild von Prototypes der Tabs, Pads und Boards im Büroumfeld
Abb. 6: Tabs, Pads und Boards. Bild: Adaptive Path

Zu dieser Zeit haben sich Personal Computer schon zu Hause etabliert und das Internet ist auf dem Vormarsch. Zwar kann Weisers Idee des Ubiquitous (also allgegenwärtigen) Computing nicht vollständig auf die Umgebung privater Haushalte angewendet werden, doch unter Anbetracht von Tofflers frühen Vision des mobilen Arbeitszimmers bzw. des kompletten Wegfalls von Büros, und die dadurch verschwimmende Grenze von Arbeit und Privatleben führte dazu, dass die Digitalisierung und Technisierung von Arbeitswerkzeug immer mehr auch im Haushalt stattfand.

Die Personal Computer wurden kleiner, und nun, 2017, tritt Weisers Vermutung in Kraft: »Indeed, it may be impossible to find all the computers in a room.«26 Möglicherweise sind sie versteckt in singenden Gummifischen, und übernehmen Aufgaben wie das Verwalten von Terminkalendern, das Abspielen von Musik, das Rufen eines Taxis, oder das Erfassen von Diktaten. Computer und damit auch Arbeit sind zum Lifestyle geworden, der uns nicht mehr nur acht oder neun Stunden des Arbeitstages, sondern durch sicht- und unsichtbare Computertechnik rund um die Uhr begleitet.

Mystic Machines pt. II: Manipulation der Zeit

Mit Computertechnik ausgestattete Haushalte läuten somit ein neues Zeitgefühl ein – nachdem die »Second Wave« unsere Maschinen beschleunigt hat, kurbelt die »Third Wave«, also das Informationszeitalter, an unseren Rhythmen des Alltags und Zusammenlebens. Auf diese Weise befreit sie uns von der Maschine und ihren Einschränkungen27. Die technische Ubiquität verschmilzt unser Zeitgefüge zu einem neuen Konstrukt. Das Medium des Computers wird zur Umwelt, und ist somit allgegenwärtig.

Computersysteme im Haushalt haben uns über die Jahrzehnte gezeigt, dass ihre Anwendung nicht nur in einer Büro-Umgebung Sinn ergibt: Verwaltung, Ordnung und Produktivität spielen auch im Haushalt eine Rolle, und der Rechner kann uns dabei unterstützen. So wurde es möglich, gewohnte Metaphern wie die des Schreibtischs, die Computer-Interfaces anfangs übernommen haben, immer mehr zu abstrahieren. Der PC als Befähigungsmaschine hat uns neue Wege gezeigt, selbst aktiv und produktiv zu werden und mit den Maschinen umzugehen – er erweitert unseren Handlungsspielraum auch durch die Wandlung seines Interface: Während es vor 30 Jahren noch einer Programmiersprache und großem Technikverständis bedurfte, um Computerbefehle auszuführen, reicht heute das Aussprechen eines Befehls – Spracherkennung, Algorithmen und Machine Learning verweben unser Mindset der Arbeit mit den Problemen und Handlungen des Alltags. Dass da ein Computer im Spiel ist, bleibt in vielen Fällen unbemerkt.

Chapter Number 3

Der Computer als Vermittler

Das Internet der Dinge

Die Idee des unsichtbaren Computers ist als Ubiquitous Computing also doch Wirklichkeit geworden – vermeintlich. Zwar hat die Überführung der Arbeit ins eigene Zuhause und somit auch die Computerisierung des Selbigen dazu geführt, dass wir uns an Technologien gewöhnt haben und uns der Umgang mit ihnen nicht mehr fremd vorkommt – doch seit Beginn dieser technischen Renovation der Eigenheime wird auch Kritik daran geübt. So erwähnt Otto Friedrich zu Beginn der 1980er Jahre, dass viele der angepriesenen, »smarten« Produkte, überhaupt nicht wirklich intelligent seien: Ein teures Computerprogramm, das bei der Pizzabestellung Eiscreme als Vorspeise vorschlägt, habe nunmal keinen Nutzen28.

Auch heute, nachdem Ubiquitous Computing durch den Vormarsch des Internets einen weiteren Vorsprung in unseren Alltag gemacht hat, lässt sich ein Paradox der bisherigen Entwicklung beobachten: Haushaltsgeräte wie beispielsweise Entsafter werden übertechnisiert und mit vermeintlich smarter Technologie ausgestattet, die den Menschen mehr entmündigen als ihm ein Projektor der eigenen Fähigkeiten zu sein. Diese rein auf Marketing und Profit konzentrierte Computerisierung der Dinge ist zum Scheitern verurteilt: So verkündete beispielsweise das Startup Juicero Inc. am 1. September 2017, dass es die Produktion seiner Maschinen unverzüglich einstellten müsse.

Bild der Juicero Saftpresse
Abb. 7: Juicero, 2016. Bild: Business Wire

Die Firma entwickelte einen Entsafter, der über das Handy gesteuert werden konnte und speziell angefertigte Fruchtsaftkonserven auspressen sollte. Das Gerät wurde für 399 US-Dollar verkauft. Als die Redaktion von Bloomberg demonstrierte, dass man die Konserven ebenso per Hand ausdrücken konnte und sowohl das Gerät wie auch die Steuerung per App eine technische Unnötigkeit – wenn nicht sogar Barriere – waren, ging es mit dem von Investoren gepushten Juicero-Entsafter wirtschaftlich bergab – bis zu seinem Verschwinden blieb es lediglich ein hochspekulatives Produkt29.

Die Absurdität solcher Maschinen stellt die Gegenthese zur Vision der unsichtbaren Computer dar: Die scheinbar zwecklose Vernetzung und Computerisierung von Arbeits- und Alltagsgegenständen macht Computer immer sichtbarer30. Die Tatsache, dass ein Smartphone und eine intakte Internetverbindung braucht, um einen Entsafter zu verwenden, drängt die Technisierung der Welt in den Vordergrund.

Technologische Materialität

Das war natürlich nicht Weisers Idee, als er seine Zukunftsvision verfasste. Generell stand in seiner These nicht die Wirtschaftlichkeit oder der Marketingaspekt von Ubiquitous Computing im Vordergrund, sondern die Auswirkung auf unser Leben und unseren Alltag, wenn wir von Rechnern umgeben sind. Seine Intention, wie diese Technik sich in unser Leben einpassen soll und mit welcher neuen Herangehensweise Technik gestaltet werden muss, beschreibt er mit John Seely Brown im Paper Designing Calm Technology31. Die Unsichtbarkeit und somit auch die Infragestellung und ihre Integration in unsere Wahrnehmung sollte uns Menschen dazu verhelfen, unsere Existenz neu zu denken32.

Der Omnipräsenz des Unsichtbaren, die in die Kritik geraten ist, wohnt aber dennoch eine andere, weniger bildhafte Eigenschaft inne: Die der »technologischen Materialität«33. Daten und Algorithmen – die eigentliche Essenz des Internet der Dinge – sind sehr wohl ein weniger bemerkter Teil des Ganzen.

Vermittler zwischen Mensch und Welt

Der Computer und sein Interface nehmen hierbei lediglich die vermittelnde Rolle ein. Durch den Personal Computer im eigenen Zuhause, in Möbeln, Werkzeugen und Alltagsgegenständen haben wir uns an ihn als Vermittler gewöhnt – er ist uns ein Verbündeter geworden. Ist der sprechende Fisch, den ich zu Beginn dieses Aufsatzes als Quatsch abgetan habe, womöglich weniger albern als angenommen? Er ermächtigt sich in seiner Position als Wandschmuck als stiller Beobachter in der Peripherie. Seine technische Renovation durch die künstliche Intelligenz Alexa macht ihn zum Vermittler zwischen Mensch und Welt, die beide durch den Personal Computer durch ein dicht verwobenes Netz verbunden sind.

All diese Informationen – die technologische Materialität – bleibt uns verborgen, wird aber mit dem Fortschritt künstlicher Intelligenzen und Automatisierungsprozessen auch in Zukunft eine tragende Rolle spielen.

Literature header image
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In: Robben, Bernard / Schelhowe, Heidi (Hg.): Be-greifbare Interaktionen, Bielefeld (2012). S. 8 – 15.
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